Die Nebelkinder by Jörg Kastner

Die Nebelkinder by Jörg Kastner

Autor:Jörg Kastner
Die sprache: de
Format: mobi, epub
ISBN: 9783404204557
Herausgeber: Lübbe
veröffentlicht: 2002-12-31T23:00:00+00:00


10.

Der Mittag, die Zeit der höchsten Sonne, war gekommen, aber vor den Gämsenreitern wurde es immer dunkler. Zu allen Seiten hoch aufragende Gipfel hielten das Licht fern. Dieser Landstrich war ebenso düster wie unwirtlich. Bäume, Sträucher und Gräser konnten hier nicht überleben. Überall wucherte nacktes, schroffes Felsgestein. Kümmerliches blaues Moos, das aus den Ritzen wuchs, verstärkte den kahlen, leblosen Eindruck eher noch. Albin fror und drückte seine nackten Füße an den warmen Bauch der Gämse.

Unermüdlich klapperten die Hufe der Tiere über das Gestein. Gordo und seine Gardisten hielten geradewegs auf eine zerklüftete Felswand zu, die so hoch und steil anstieg, dass selbst die geschicktesten Gämsen sie nicht erklimmen konnten. Dort musste ihr Weg unweigerlich zu Ende sein. Vergebens hielt Albin Ausschau nach dem Reich der Braunelben, die Odnis ringsum konnte es nicht sein. Vor der Steilwand hielten die Reiter ihre Tiere an und stiegen aus den Sätteln.

»Nur zu Fuß können wir die Nebelwand durchqueren«, sagte Gordo und schritt, seine Gämse am Zügel haltend, voran.

Jetzt, wo sie so dicht vor der Wand standen, sah Albin den schmalen Spalt, durch den Gordo ging. Diesem Spalt folgte ein weiterer und noch einer. Die engen Lücken im Fels waren versetzt angeordnet, sodass sie einem unwissenden Betrachter auch aus kurzer Entfernung nicht auffielen. Durch diese Spalten durchquerten die zwölf Elben die Felswand, die Albin eben noch unüberwindlich erschienen war. Es war so dunkel, dass er nicht mehr sah als die undeutlichen Umrisse des vor ihm gehenden Gardisten mit seiner Gämse. Irgendwann verbreiterten sich die Felsspalten. Es wurde etwas heller, doch die Sicht klarte nicht auf. Anschwellende Wärme und Feuchtigkeit ließen die Luft drückend werden. An seinen Fußsohlen spürte Albin die Hitze, die fast mit jedem Schritt anstieg. Er schwitzte und das Atmen fiel ihm schwer.

»Heißes Wasser in der Erde lässt den Nebel aufsteigen«, erklärte Findig, der ein kurzes Stück hinter ihm ging. »An vielen Stellen tritt es offen zutage, wird aber vom dichten Nebel verhüllt. Wer nicht weiß, wohin er seine Schritte lenken muss, fällt in das Erdwasser und verkocht.«

Zum Glück kannte sich Gordo gut aus. Ohne auch nur einmal zu zögern führte er die Gruppe durch die Nebelwand, die sich allmählich lichtete. Albin sah vor sich etwas, das ihn an die verschwommenen Umrisse eines Torbogens erinnerte. Beim Näherkommen erkannte er, dass sich tatsächlich ein großes, von der Natur geschaffenes Tor im Fels auftat, und dahinter lag sattes Grün. Die Felswand mit der Toröffnung bildete die Grenze des Nebels.

Einer nach dem anderen schritten die Elben hindurch und atmeten begierig die klare Luft, eine Wohltat nach dein schwülen Dunst der heißen Dämpfe. Ein lang gestrecktes, vielfach gewundenes Tal lag friedlich zwischen hohen Bergen. Die Elben bestiegen wieder ihre Gämsen und ritten durch einen Wald, dem Acker- und Weideland folgten. Ein schmaler Fluss, der rechts aus den Bergen kam, schlängelte sich träge in der Mitte des Tals dahin und schien ausreichend Wasser für die Gehöfte an seinen Ufern zu liefern. Die überwiegend aus Holz erbauten Gebäude waren kleiner als menschliche Behausungen und schienen mit dem Erdreich verwachsen.



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